RuhrGesichter „Folklore ist ein lebendiger Organismus.“                     (Giorgi Donadze)

Georgian Voices                                                                    

Der Trinity Cathedral Choir in der Turbinenhalle

In   der   Turbinenhalle   an   der   Bochumer   Jahrhunderthalle   gab   der   Trinity   Cathedral Choir    /    Georgian    State    Chamber    Choir    im    Rahmen    der    Ruhrtriennale    ein beeindruckendes    Gastspiel.    Im    Hintergrund    erhob    sich    über    dem    Chor    als Blickfang die Installation „City of Refuge IV“ von Berlinde de Bruyckere. Über   deutlich   mehr   als   zweieinhalb   Stunden   (inkl.   Pause)   fächerte   der   Chor   um Svimon    Jangulashvili    eine    große    Bandbreite    georgischer    Chormusik    vor    dem staunenden    Publikum    auf.    Apropos    Spieldauer:    Die    Veranstaltungen    in    der Jahrhunderthalle/Turbinenhalle   dauern   stets   (fast)   bis   zum   Küchenschluss   im angrenzenden   Festival   -   Wunderland,   das   mag   gute   Gründe   haben,   sorgte   aber bei    einigen    Besuchern    für    Verwirrung.    Jedenfalls    gilt:    Ruhrtriennale    macht schlank…     Zurück     zur     Musik:     Zwischen     luftig-schwebenden     Klangwolken, einfachen   Liedern   und   donnernden   Stimmwänden   fand   immer   auch   der   eine   oder andere musikalische Schabernack Platz. Nur   sehr   selten   wurde   der   Gesang   mit   einzelnen   traditionellen   Instrumenten   wie dem   georgischen   Dudelsack   unterstützt.   Beeindruckend   der   dezente   Einsatz   des Vibraphons   -mit   Klöppeln   angeschlagen   und   mit   dem   Streicher   Bogen   gestrichen- von Vadim Shishkin. Im    ersten    Teil    des    Abends    vor    der    Pause    wurde    eine    Auswahl    moderner georgischer   Chormusik   zu   Gehör   gebracht,   nach   der   Pause   ging   es   unter   der Leitung   von   Giorgi   Donadze   nach   einem   mittelalterlichen   geistlichen   Gesang   mit vielen    Kleinoden    traditioneller    georgischer    Polyphonie    weiter.    Der    polyphone Gesang    Georgiens    gehört    bereits    seit    2001    zum    immateriellen    UNESCO Weltkulturerbe.   Eine   Aufnahme   der   georgischen   Vokalpolyphonie   wurde   1977   von der    NASA    sogar    mit    der    Raumsonde    Voyager    ins    All    geschickt.    Auf    eine vergoldete   Schallplatte   graviert,   sollte   diese   Musik   so   auch   nicht-menschlichem Leben     jenseits     der     Erde     zugänglich     gemacht     werden,     sofern     dort     ein Plattenspieler   vorrätig   ist.   Ob   sich   Aliens   von   der   Musik   bereits   verzaubern   ließen, wissen   wir   nicht,   aber   dass   die   Klänge   auch   ganz   irdische   Ohren   in   ihren   Bann ziehen können, das wissen wir mit Sicherheit. Die    einzigartige    Tradition    des    polyphonen    Gesangs    wurde    im    Rahmen    des beeindruckenden    Konzertes    in    der    Turbinenhalle    hör-    und    spürbar:    Welch seelenvolle   Stimmen   erhoben   sich   in   der   Jahrhunderthalle,   jede   Stimme   mit einem   eigenen   Charakter.   Großartige   Solisten!   Georgische   Choräle   erfüllten   den Raum   und   schufen   eine   einzigartige   Atmosphäre   voller   Spannung   und   Intensität. Wer   dieses   bemerkenswert   ergreifende   Konzert   besucht   hat,   ohne   dass   die   Seele (sofern   noch   nicht   verscherbelt)   ihre   Schwingen   ausbreitete   und   rund   um   das Industrie-Ensemble   der   Jahrhunderthalle   und   den   Westpark   flatterte,   um   sich schließlich    in    den    Abendhimmel    zu    erheben,    dem    muss    beharrlich    ein wohlgenährter georgischer Bär auf den Ohren sitzen. Tatsächlich   sind   es   bei   den   traditionellen   Liedern   meist   sehr   einfache,   archaische, magische     Klangfolgen,     die     erst     in     der     Mehrstimmigkeit     aus     mehreren eigenständigen     Stimmen     eine     außerordentliche     Harmoniekomplexität     und Spannung   entwickeln.   Unsere   sonst   gern   übersensiblen   Kritikerohren   wurden verzaubert   und   bereits   mit   den   ersten   Klängen   auf   eine   abenteuerliche   Reise durch Zeit und Raum genommen. Außerordentlich! Der   vielköpfige   Patriarchalchor   der   Trinity-Kathedrale   wurde   bereits   1998   in   Tiblisi gegründet   und   widmete   sich   in   seiner   Geschichte   neben   einigen   Ausflügen   zu Mozart   &   Co   von   Beginn   an   dem   einzigartigen   musikalischen   Erbe   Georgiens, dass     sich     neben     den     Chorälen     oft     aus     jahrhundertealten     mündlichen Überlieferungen    von    Volksliedern    speist,    die    zahlreiche    Verfolgungen    in    den Köpfen,   Herzen   und   im   Gesang   der   Georgier   überstanden   haben,   bis   hin   zu zeitgenössischen   Chorwerken.   2022   erhielt   der   Chor   den   Status   als   „Georgian State Chamber Choir“. Die   mehr   als   zweieinhalb   Stunden,   die   wir   gemeinsam   mit   Chor   und   Publikum inmitten   der   Turbinenhalle   eine   nahezu   transzendentale   musikalische   Erfahrung geteilt   haben,   vergingen   wie   im   Fluge:   Ein   Blick   in   die   beseelten   Gesichter   der anderen    Besucher    beim    Verlassen    des    Veranstaltungsortes    gab    uns    die Gewissheit:   Musik   wirkt   und   verbindet.   Das   ist   doch   mal   eine   gute   Nachricht   in herausfordernden Zeiten.
© Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker
© Foto: Mirjam Devriendt
© Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker