RuhrGesichter „Statt wesentlich die Welt bewegt, hab ich wohl nur das Meer gepflügt - ein Rigorosum sondershausen“, so der überlange (und dennoch kein Aufpreis) Titel des aktuellen und nagelneuen Programms vom König des „epischen Kabaretts“ Jochen Malmsheimer. Der gebürtige Essener, der dann aber bereits im zarten Alter von sechs Jahren in die weite Welt hinauszog (nach Bochum) und dort aufwuchs, hatte beim Zeltfestival Ruhr ein Heimspiel. Klar, dass das Gastspiel schnell ausverkauft war und eine ebenfalls ausverkaufte Zusatzshow angehängt wurde.

Jochen Malmsheimer                                                                

Heimspiel beim Zeltfestival Ruhr

Obwohl   man   sich   sehr   viel   Mühe   gemacht   hatte,   den   Eingang   von   Zelt   3   gut   zu verstecken, gelang es doch allen Zuschauern pünktlich ins Zelt zu schlüpfen. Dass    der    Titel    des    aktuellen    Programms    auf    ein    Zitat    von    Simon    Bolivar zurückgehe,   der   lange   mit   Jean   Paul   Sartre   zusammenlebte,   ist   eine   typische malmsheimersche    Verknotung,    auch    wenn    er    sich    plötzlich    nicht    mehr    ganz sicher   zu   sein   scheint,   ob   es   nicht   doch   eher   Simone   Signoret   war   (die   immerhin mit   Sartre   Sahnetorte   teilte,   wenn   auch   nicht   wie   Simone   de   Beauvoir   noch   das Bett   dazu).   „Zudem   geht   es,   neben   allerlei   Absonderlichkeiten   mehr,   um   den Fundamentalirrtum    Radfahren,    die    Seltenheit    von    Kunst,    ihre    rätselhafte Beziehung   zum   Mond   und   andere   große   und   mittelgroße   Fragen,   und   zwar   sehr rigoros.“   Soweit   die   Ankündigung   des   Wortverknoters   und   Sprachverwicklers   mit der    Grizzly    -    Donnerstimme,    der    unter    dem    Applaus    der    Zuschauer    beim Zeltfestival   seinen   „Leseplatz“   bezog,   den   er   im   Laufe   des   Abends   nur   noch   zur Pause verließ. Um    nun    aber    direkt    im    egomanischen    Selbstbezug    rumzuheulen    und    vom Künstler   abzulenken:   Wir   Kritiker   haben   es   nicht   leicht.   Es   ist   bei   Konzertkritiken schon   einigermaßen   schwer,   den   armen   Menschen,   die   nicht   live   zugegen   waren mitzuteilen,   wie   es   war.   Immerhin   kommt   kein   Kritiker   in   die   Versuchung,   seinen Lesern    etwas    vom    Konzertabend    vorzusingen.    Das    ist    bei    Auftritten    von Komödianten,     Kabarettisten     und     Kavalleristen     leider     anders,     kaum     eine Programmkritik   kommt   ohne   den   journalistisch   untauglichen   Versuch   aus,   witzig zu   sein   oder   -noch   schlimmer-   aus   der   Erinnerung   nacherzählte   Lustigkeiten   aus dem   Programm   zu   verwursten.   Auch   unser   Beitrag   schafft   das   nicht.   Das   ist einigermaßen   furchtbar.   Offenbar   ist   Jochen   Malmsheimer   jedoch   einer,   der   viel ertragen   kann.   Und   wenn   nicht,   hätten   wir   volles   Verständnis   dafür,   wenn   er eines    Abends    vor    unserer    Tür    steht,    um    uns    die    Ohren    links    und    rechts langzuziehen.   Von   Bochum   aus   kann   er   das   auch   mit   dem   Fahrrad   schaffen.   Und an   den   Freuden   des   Radfahrens   arbeitet   er   sich   im   ersten   Teil   seines   Programms ausgiebig   ab.   Nebenbei   enthüllte   er   die   Geheimnisse   des   Fledermausverspeisens, die    Ursprünge    der    Seuche    und    fand    heraus,    dass    kurz    nach    dem    Stich explodierende Mücken ein Indikator für hohen Blutdruck sind. Nach    mehr    als    25    Jahren    Bühnenkarriere    weiß    der    vielfach    mit    Preisen ausgezeichnete   „Berserker   des   Wortes“   Malmsheimer,   wie   er   sein   Publikum   durch sein    Programm    führt,    ohne    dass    es    vor    Dauerlachen    und    Sprachverwirrung Ermüdungserscheinungen   im   Kleinhirn   gibt.   Tatsächlich   folgt   ihm   das   Publikum überall   hin,   selbst   in   die   abgelegensten   Winkel   malmsheimerscher   Phantasie   (und das   ist   oftmals   ein   sehr   langer   und   niemals   gradliniger   Weg   dorthin)   und   dort wird   dann   hemmungslos   gelacht,   so   dass   manch   einer   im   Publikum   nach   Luft schnappend     „Erbarmen!“     rufen     möchte,     so     komisch     ist     das,     bis     zur Zwerchfellreizung und darüber hinaus. Doch   Erbarmen   mit   seinem   Publikum   ist   Malmsheimer   Sache   auch   im   zweiten   Teil des   Abends   nach   einer   kleinen   Verschnaufpause   nicht,   wenn   er   berichtet,   wie   er seinem Gesamtwerk im Krankenhaus begegnete. Malmsheimer   schafft   es   bei   seinem   ZfR   Gastspiel   wieder   einmal,   Schenkelklopfer –   Quatsch   mit   Gedankentiefe   und   Gedankenfülle   zu   kombinieren,   selbst   seine eigenen    Überzeugungen    fast    immer    anspruchsvoll,    aber    stets    witzig    zu umwickeln    und    dem    geneigten    Hörern    darzureichen.    Das    so    geschmackvoll Gebotene    kann    dann    sogar    munden,    wenn    die    umwickelte    Meinung    selbst eigentlich   nicht   gefällt.   Sehr   stark,   dass   können   nur   wenige.   Wir   hätten   fast gesagt: Das kann sonst niemand. Aber wir kennen ja nicht jeden. Die    kleinsten    Profanitäten    werden    von    Malmsheimer    aufgespießt,    genüsslich zerlegt   und   neu   wieder   zusammengeschraubt.   Das   Ganze   mit   geballter   Wut, schelmischer   Freude   oder   in   wildem   Tempo   vorgesteppt.   Wir   werden   gelegentlich Malmsheimers    Frau    und    Kinder    interviewen    müssen,    denn    der    Mann    kann unmöglich   daheim   völlig   anders   sein   als   auf   der   Bühne.   Wir   fühlen   mit   seinem Umfeld   und   freuen   uns,   dass   dieser   Sprach-Bär   uns   so   viel   Spaß   macht,   wenn auch erfreulicherweise nicht 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche… Der   Thekenphilosoph   ist   nicht   nur   wortgewandt,   sondern   auch   sprachbegabt; Lautstärke,   Aussprache,   Sprechrhythmus   und   Tonhöhe   sind   die   Werkzeuge   neben den   Inhalten,   die   dafür   sorgen,   dass   Malmsheimer   kein   einziger   Besucher   beim Zeltfestival abhandenkommt und mit Kopfschmerzen abschaltet. Das   Publikum   strömt   nach   rund   zwei   unterhaltsamen   Stunden   mit   dem   irischen Segen   Malmsheimers   glücklich   in   die   Nacht   hinaus:   Der   nahende   Schlaf   dürfte beim   einen   oder   anderen   bis   zum   Morgenwecker   einiges   zu   tun   haben,   die Hirnbeulen aus dem Sprachzentrum zu bügeln. Fazit:   Ein   spannender,   entspannender   Abend,   der   den   Schädel   bis   zur   Überfülle mit    schrägen    Gedankenkonstruktionen    vollpresst    uns    gleichzeitig    den    Kopf freimacht.   Wir   werden   uns   jedenfalls   ein   paar   Tage   krankmelden   müssen,   um den Lachmuskelkater auszukurieren. Wir   machen   also   artig   einen   Knicks   und   sagen:   Danke   für   den   schönen   Abend, Jochen Malmsheimer.