RuhrGesichter Als Marten Laciny alias Marteria pünktlich gegen 20 Uhr die Bühne beim Zeltfestival Ruhr am Kemnader See enterte, war schnell klar: „Sein“ Publikum muss er angesichts des frenetischen Empfangs nicht mehr überzeugen; uns als neutral-kritische Fremdlinge in dieser Art von Musik aber schon. Ob ihm dies gelang, werden wir im Folgenden kurz berichten.

Marteria                                                                

Einer für Alle

Marteria   ist   der   Hans   Dampf   in   allen   Gassen   der   deutschen   Rap   –   Szene.   Obwohl er   wohl   nach   wie   vor   auch   mit   den   harten   Oldschool-Rappern   abhängt,   kommt   er auch   beim   „normalen“Pop-Fan   gut   an,   da   vieles   von   ihm   radiotauglich   ist,   seine Beats   sind   auch   für   Elektrofans   spannend   und   vielseitig.   Sogar   bei   eingefleischten Indie-   und   Rockfans   haben   wir   ihn   schon   gehört;   auch,   da   seine   Texte   jenseits der    typischen    Rap-    und    Hiphop    Klischees    tatsächlich    gut    hörbar    sind.    Kein Wunder,   dass   er   seit   einer   kleinen   Ewigkeit   von   Festivalbühne   zu   Festivalbühne gereicht   wird   und   es   schafft,   allen   irgendwie   zu   gefallen   oder   zumindest   nicht großartig    übel    aufzustoßen.    „Allen    gefallen“    wäre    die    schlimmstmögliche Beleidigung   für   einen   Künstler,   die   uns   normalerweise   einfallen   würde   und   wäre gleichbedeutend    mit    identitätsloser    Retortenmucke.    Im    Falle    von    Marteria passiert   dieses   Andocken   an   verschiedene   Szenen   jedoch   gerade   über   die   große künstlerische    Eigenständigkeit,    die    sich    aus    vielen    Quellen    speist,    ohne    zur bloßen   Kopie   zu   degenerieren,   und   eine   gesunde   Portion   Selbstironie.   Klingt komisch, ist aber so. Auch   bei   seinem   Gastspiel   am   Kemnader   See   war   das   Publikum   entsprechend sehr bunt gemischt und kaum einer klar umrissenen „Szene“ zuzuordnen. Auch,    wenn    wir    im    großen    Sparkassenzelt    des    ZfR    etwas    von    über    90% Auslastung   gehört   haben,   waren   doch   einige   deutliche   Lücken   im   Zuschauerraum sichtbar.   Vielleicht   sind   Marteria   Fans   einfach   auch   nur   sehr,   sehr   klein   und platzsparend   unterzubringen.   Sei   es   drum:   Der   Vorteil   bei   der   Auslastung   war   für alle   Anwesenden:   Bessere   Sauerstoffversorgung   als   am   Vorabend   im   Zelt   und   vor allem: Mehr Platz für rappende Rhythmusgymnastik. Der    Rostocker    Marteria    sang,    rappte,    tobte    über    die    Bühne    und    gab    den Animateur    für    die    Massen,    während    er    seinen    heftigen    Mix    aus    Pop, Hardcorezeugs   und   entspanntem   Flow   mit   einer   wilden   Live   Performance   und guter Band nebst gesanglicher Top – Unterstützung in das Publikum drückte. Marteria   kann   eben   nicht   nur   dicke   Hose   und   Randale   -dies   bewies   er   bei   seinem Gastspiel   erneut   eindrucksvoll-   sondern   auch   Gedanken   mit   glaubwürdiger   Tiefe, echte   Emotionen   und,   Trommelwirbel   &   Überraschung:   Eingängige   Melodien. Unser     Favorit     an     diesem     Abend     war     der     treibend-aggressive     Abreißer „Bengalische   Tiger“;   Publikumsliebling   schien   der   witzige   Song   „Marteria   Girl“   zu sein. Die   ausgesprochen   höflichen   und   umsichtigen   Fans   waren   übrigens   extrem   chillig unterwegs,   einige   hatten   ihre   Kinder   und   manchmal   auch   den   Opa   im   Gepäck (bei   letzterem   gut:   Wir   waren   nicht   die   Ältesten   im   Zelt,   bei   ersterem   auch möglich:   Es   könnten   auch   vergessene   Kinder   vom   Vorabend   mit   Michael   Patrick Kelly   gewesen   sein.   Dann   hier   der   Aufruf   an   Kelly-Fans:   Eure   Kinder   sind   noch   im Zelt… ;)). Der   familienfreundliche   Rebell   Marteria   (schon   wieder   so   eine   Beleidigung,   die eigentlich   gar   keine   ist)   hat   bereits   eine   Karriere   als   Model   u.a.   für   „Boss“   hinter sich,   studierte   Schauspiel   und   spielte   bei   Hansa   Rostock   Fußball.   Dass   Marteria   in seinem   Leben   schon   ein   paar   Wege   gegangen   ist,   sich   ein   paar   Schrammen abgeholt   hat   UND   die   Fähigkeit   besitzt,   dies   in   Worte   zu   fassen   und   in   Musik   mit eigenwilliger    Klangschönheit    auf    die    Bühne    zu    bringen,    unterscheidet    ihn maßgeblich   von   einer   Vielzahl   besonders   böser   Gangster,   die   beim   Versuch,   dem Ruhm     nachzulaufen,     regelmäßig     in     Marterias     übergroße     Fußabdrücke hineinstürzen wie in eine Schlucht. Manchmal   rutscht   er   dann   aber   doch   in   das   eine   oder   andere   Klischee,   dann   tönt er   wie   ein   Pubertierender.   „Aufplustern“   gehört   halt   auch   irgendwie   dazu.   Da   er diese   Klischees   jedoch   immer   wieder   erfolgreich   mit   Ironie   und   Zweifeln   bricht, stört das exakt gar nicht. Marteria   spielte   am   Kemnader   See   eine   wilde   Reise   durch   seine   Musik.   Und   er traute    sich    etwas:    Verletzlichkeit    zeigen,    Humor,    Trauer,    Anklage,    Wut    und Melancholie   zusammen   zu   bringen   und   das   Publikum   bis   zur   letzten   Reihe   bei diesen   Emotions-Sprüngen   mitzunehmen.   Wenn   er   die   Rebellion   ausrief,   gingen bei   den   Fans   die   Fäuste   nach   oben   und   beim   Partybefehl   wurde   getanzt,   wenn der Exzess gefordert wurde, dann wurde auch Exzess geliefert. Nach   knapp   zwei   Stunden   war   der   Abriss   dann   erfolgreich   beendet.   Fazit:   Ein großartiger Konzertabend mit Marteria, Band und Publikum in Eskalationslaune.