RuhrGesichter Wer den Stil des Liedguts der 20er & 30er Jahre mag, der wird Max Raabe lieben. Es bleibt ein Phänomen, dass nahezu sämtliche Konzerte der äußerst umfangreichen, aktuellen Tournee mit „seinem“ Palast-Orchester restlos ausverkauft sind und diese eigentlich völlig aus der Zeit gefallene Musik auch heute noch (oder: wieder) begeistern kann, so auch beim Konzert in der Stadthalle Hagen.

Max Raabe & Palast Orchester                                                                    

Eine Konzertkritik

Einen    Anteil    daran    haben    sicherlich    auch    Serien    wie Babylon      Berlin,      vielleicht      auch      die      Mantra-artig wiederholte    etwas    seltsame    Behauptung,    dass    sich unsere   Republik   in   einer   Art   Weimar   2.0   -   Status   befinde und   sich   viele   Menschen   dann   wenigstens   den   passenden Soundtrack zu ihrem Leben wünschen. Raabe    selbst    sagte    vor    einiger    Zeit    im    Interview    mit Stefan   Baumgartner:   „Die   Lieder,   die   Texte   sollen   nicht das   Weltgeschehen   kommentieren.   Mir   geht   es   darum, wenn   es   zwischenmenschlich   einmal   nicht   rund   läuft,   mit Zuversicht   in   die   Zukunft   zu   blicken.   (…)   Ich   möchte nicht   kommentieren,   was   in   der   Welt   passiert,   sondern dass   Leute   im   Konzert   vergessen,   was   draußen   los   ist, sich   von   uns   in   eine   Parallelwelt   schießen   lassen.   Wenn wir   auf   der   Bühne   stehen,   blenden   wir   aus,   was   draußen vor der Halle passiert oder morgen am Plan steht.“ Der   als   Matthias   Otto   im   westfälischen   Lünen   geborene, staatlich   geprüfte   Opernsänger   mit   dem   umwerfenden Bariton     ist     sicherlich     der     herausragende     Chronist deutschen Liedguts der Ära der wilden 20er und 30er. Er schafft es, die Musik lebendig zu erhalten. Was   uns   zudem   auch   bei   seinem   Auftritt   in   Hagen   gut gefiel:   Raabe   lässt   die   Autoren   der   Lieder   nicht   im   Dunkel der   Geschichte   versinken,   sondern   nennt   sie   jedes   Mal   zu jedem Lied. Darüber      hinaus      schafft      er      es,      seine      eigenen Kompositionen   in   einem   passenden   Stil   zu   halten,   ohne, dass   sie   aufgesetzt   und   falsch   wirken,   sondern   einen wundervollen       nostalgischen       Charme       versprühen. Chapeau! Und   so   verwandelt   der   schlaksige   Maestro,   stilecht   mit Pomade,    Smoking,    Lackschuhen    und    Fliege    auch    die Stadthalle    Hagen    in    eine    Zeitmaschine    und    fragt    mit seinem    aktuellen    Programm:    „Wer    hat    hier    schlechte Laune?“.   Wir   nehmen   die   Antwort   vorweg:   Nach   einem völlig    unnötigen    Parkplatzchaos    (nomen    est    omen    im „Eventpark“   Stadthalle   Hagen   wurde   schon   das   Parken zum   spannenden   Event.   Bitte   liebe   Stadthallen   Gmbh: arbeitet   das   mal   in   Ruhe   auf)   und   einem   dadurch   leicht verspäteten   Konzertbeginn   dauert   es   nur   wenige   Takte und   niemand,   absolut   niemand   hat   mehr   schlechte   Laune in   dem   eckigen   70er   Jahre   Zweckbau   mit   den   lustigen Stühlen,   die   den   Be-Sitzer   kurzerhand   nahezu   in   eine Rückenlage    befördern,    von    der    jeder    Ryanair-Fluggast nur träumen kann. Von   „Mein   Gorilla   hat   ’ne   Villa   im   Zoo“   und   „Unter   den Pinien   von   Argentinien“   über   „Ich   steh’   mit   Ruth   gut“   bis zum   wundervollen,   vierstimmigen   Volkslied   „Guter   Mond, du    gehst    so    stille“;    das    Dargebotene    wird    über    zwei Stunden   musikalisch   auf   höchstem   Niveau   und   kurzweilig serviert,     mal     wild     und     ausgelassen,     dann     wieder zurückgenommen    leise,    fast    meditativ.    Unterbrochen immer   wieder   durch   die   trockenen,   humorigen   Ansagen des   Maestros,   der   dabei   aber   zu   keinem   Zeitpunkt   aus der   Rolle   fällt.   So   weiß   er   beispielsweise   zu   berichten, dass     das     Max-Planck-Institut     entdeckt     hat,     dass Maulwürfe   ihr   Hirn   schrumpfen   können,   um   im   Winter Energie   zu   sparen.   Es   sei   aber   noch   unerforscht,   ob   auch andere   Lebewesen   zu   dieser   Strategie   greifen,   was   das merkwürdige    Verhalten    einiger    Mitmenschen    erklären könnte… Insgesamt   ist   es   durchaus   erstaunlich,   sich   in   heutigen Zeiten   auf   einer   Tournee   ein   teures   zwölfköpfiges   Palast- Orchester     zu     leisten     (wir     nehmen     an,     dass     die Herrschaften   angemessen   entlohnt   werden)   und   nochmal soviele    Menschen    zu    haben,    die    hinter    den    Kulissen werkeln   inkl.   einem   eigenen   Koch,   damit   die   nicht   enden wollenden    Tourneen    nicht    in    Pizza-,    Schokolade-    und Brötchen-Orgien     und     schließlich     beim     Diabetologen enden. Das   spielfreudige   Palast-Orchester   begleitet   Raabe   seit 1986     (!)     mit     viel     Humor     und     virtuosem,     genre- übergreifendem    Können.    Kleine    humoreske    Einlagen lockern    das    Bühnengeschehen    auf,    etwa    wenn    die Trompeter   sich   bei   „Unter   den   Pinien   von   Argentinien“ das   Solo   „stehlen“,   der   Abend   droht   jedoch   nie   in   einen bunten Slapstickreigen abzurutschen. Bei   der   aktuellen   Tour   steht   das   Orchester   standesgemäß auf    weißen    Podesten,    dahinter    schaffen    es    dreigeteilte    Filmprojektionen    zu unterhalten,   ohne   abzulenken:   Auch   das   ist   passend,   bleibt   stets   dezent.   Dieses „Maß   und   Mitte“   zu   finden   und   durchzuhalten   an   diesem   durchchoreografierten Abend,   ist   eine   Kunst   für   sich.   Wenn   der   Spieltrieb   bei   Max   Raabe   dann   doch   mal etwas   “drüber”   ist   –wie   bei   dem   Rundflug   des   ferngesteuerten   Zeppelins   durch die   Stadthalle-   dann   ist   es   mindestens   sympathisch   und   stört   ansonsten   nicht weiter. Das   Orchester   bekommt   viel   „gesangfreie“   Spielzeit   und   darf   dann   auch   wirklich im   Mittelpunkt   stehen,   während   sich   der   Maestro   im   Halbschatten   lässig   an   den Flügel    lehnt    und    lauscht.    Elf    Herren    (die    würdig    einzeln    von    Max    Raabe vorgestellt   werden)   umrahmen   im   Orchester   die   Violinistin   Cecilia   Crisafulli   als einzige   Dame.   „Dafür   führt   unsere   Geigerin   das   Orchester   und   die   Choreografie an,    sie    ist    die    Königin    über    die    Pinguine.“    sagte    Raabe    einmal    zum Geschlechterproporz     in     seinem     Orchester.     Überhaupt     ersetzt     eine     Frau bekanntlich   ein   ganzes   Rudel   Männer   aufgrund   ihrer   erstaunlichen   Multitasking Fähigkeiten:   Zeitgleich   eine   Raumstation   leiten,   Aktien   verkaufen,   im   Dunkeln schminken,    Fußball    spielen,    Messer    werfen,    Tiger    zähmen    und    Kühlschrank enteisen   und   dabei   stets   gut   aussehen:   „Für   Frauen   ist   das   kein   Problem.“ Natürlich   gibt   Raabe   in   Hagen   auch   „Ein   Tag   wie   Gold“   aus   „Babylon   Berlin“   zum Besten. Den   strahlend   -   schönen   Menschen   auf   der   Bühne   allerlei   Form   und   Alter   scheint dieser   Konzertabend   Freude   zu   bereiten   und   den   ebenso   schönen   Menschen   im Publikum   gefällt   es   ebenfalls:   Standing   Ovations   sorgen   für   drei   Zugaben   und darin   bekommt   auch   der   Klassiker   „Mein   kleiner   grüner   Kaktus“   noch   seinen Ehrenplatz an diesem bemerkenswerten Abend in Hagen.