Stand-up-Comedy von einer Türkin in Deutschland? Noch nie gehört? Dann kennen Sie Senay Duzcu noch nicht, die aus der Sicht einer türkischen Frau in Deutschland die deutsch/türkischen Kulturunterschiede mit herzerfrischendem Humor unter die Lupe nimmt. Ursprünglich waren wir mit Senay Duzcu am Rande ihres Auftrittes mit ihrem aktuellen Programm „Ich bleib‘ dann mal hier“ in Herne verabredet. Da die Veranstaltung kurzfristig abgesagt wurde, holten wir das Interview telefonisch nach.RG: Frau Duzcu, Sie werden oft als Deutschlands erste türkische Komikerin bezeichnet. Stimmt das wirklich?Senay Duzcu: Ja, damals war ich die erste Immigrantin überhaupt, die das gemacht hat. Mittlerweile sind mir andere nachgefolgt.RG: Was sind Sie denn nun? Sind Sie deutsch? Oder türkisch? Oder beides?Senay Duzcu: Ich habe den deutschen Pass; ich weiß gar nicht, ob ich den türkischen Pass noch habe (lacht)... Ich bin teils Türkin, teils Deutsche. Die Türkin in mir kommt immer zu spät zur Arbeit, die Deutsche in mir macht immer pünktlich Feierabend. Man nimmt sich halt die besten Seiten raus; so ist beides in mir integriert; beide Seiten sind in mir zu erkennen. Ich muss beide Seiten in mir ja auch akzeptieren.RG: Verträgt sich die Türkin in Ihnen denn immer mit der Deutschen?Senay Duzcu: Beide Seiten sind egoistische Dickköpfe, die immer mal wieder beweisen wollen, dass sie besser sind und beide Seiten sagen, dass ihr Weg der richtige ist zum glücklich sein. Und beide haben recht. Aber beide sind so unterschiedlich, dass man sich ständig entscheiden muss, auch wenn man das gar nicht will.RG: Und wie entscheiden Sie sich?Senay Duzcu: Ich nehme immer das Beste von beiden Seiten. Beim Fußball bin ich da genauso, auch wenn ich den Unterschied zwischen Fußball und Minigolf immer noch nicht verstanden habe. Wenn Spanien gewinnt, entdecke ich die Spanierin in mir, wenn Italien gewinnt, liebe ich Italien. Wenn die Türken raus sind aus dem Turnier bin ich für die Deutschen und umgekehrt. Wenn man will, kann man so immer auf der Gewinnerseite sein.RG: Sprechen wir doch mal über Heimat: Auf der Bühne sagen Sie ja gern, dass Sie aus der viertgrößten Stadt der Türkei stammen…Senay Duzcu: …genau, aus Duisburg. Eigentlich bin ich in Düsseldorf großgeworden, hatte aber Verwandtschaft in Duisburg, momentan lebe ich in Köln.RG: Sind Sie denn in Duisburg oder in der Türkei geboren?Senay Duzcu: Ich bin in der Türkei geboren. Als kleines Mädchen bin ich als Mitbringsel mitgekommen; als meine Eltern dann den Koffer auspackten haben sie mich gefunden; Made in Türkei (lacht).RG: Sie haben aber nicht die erste Chance genutzt, dem Ruhrgebiet zu entkommen, sondern haben im Pott studiert. Was verbindet Sie –vielleicht auch noch heute- mit dem Ruhrgebiet?Senay Duzcu: Ich habe in Dortmund studiert und jahrelang in Essen gewohnt. Ich wollte ja auch unbedingt in den Pott. In Düsseldorf sind ja ganz viele wohlhabende, reiche Menschen, ich wollte lieber zu den normalen, echten Malochern und Menschen. Deshalb habe ich im Ruhrgebiet studiert, ich hatte ja auch die Auswahl nach Aachen oder Berlin zu gehen für mein Architekturstudium.Ich spiele heute auch gerne im Ruhrgebiet, denn das Publikum ist hier sehr dankbar; die Leute haben richtig Bock zu lachen und nehmen einen richtig gerne auf. Ganz viele andere Comedian-Kollegen mögen das auch sehr im Ruhrgebiet.RG: Ihre Berufslaufbahn war ja zunächst nicht in Richtung Bühne ausgerichtet…Senay Duzcu: Ich habe Architektur studiert und dann Grafikdesign angefangen. Währenddessen habe ich mich beworben, ich wollte quer einsteigen in den Beruf, damit ich mich aus der „Herumjobberei“ während meines Architekturstudiums weiter entwickeln konnte. Nebenbei hatte ich vor, jeden Monat ein oder zwei Comedy Auftritte zu machen.RG: Man könnte annehmen, dass sie sehr frei erzogen wurden, wenn sie heute so selbstbewusst auf der Bühne stehen?Senay Duzcu: Meine Eltern waren richtig streng. Die klassische türkische Familie. Bis zur Studiumszeit war rausgehen, Freund usw. alles tabu. Diese strenge Erziehung gibt es auch immer noch. Die Türken, die in mein Programm kommen erkennen das dann natürlich, wenn ich über meine Familie spreche und lachen sich kaputt.RG: Wie haben Sie sich dann Ihren Freiraum geschaffen? Zwischen dem streng erzogenen, zurückhaltenden türkischen Mädchen und der selbstbewussten Frau, die heute auf der Bühne steht; da muss es doch Zwischenschritte gegeben haben?Senay Duzcu: Klar. Zum Studium bin ich umgezogen und habe dann in Essen gewohnt. Da durfte ich immer noch nichts, aber ich konnte jetzt vieles machen, da ich aus dem Blickfeld meiner Eltern heraus war. Aber der Fokus lag schon auf dem Studium. Ich wollte mir nicht sagen lassen, dass ich nur ausgezogen bin, um meine Freiheit und Spaß zu haben und Jungs kennenzulernen. Ich wollte studieren, da war ich die einzige in meiner Verwandtschaft, die das mit Diplom und so weiter abschließen wollte. Ich wollte den Deutschen und den Türken beweisen, dass ich das hinkriege.RG: Zurück zum „Weg auf die Bühne“. Waren Sie schon in der Schule lustig, vielleicht der Klassenclown?Senay Duzcu: Ich war in der Schule immer sehr zurückhaltend. Wollte nie auffallen, weil das war als türkische Frau ja etwas, für das man sich schämen sollte.RG: Wie entdeckten Sie Ihr spezielles komödiantisches Talent, dass Sie auf die Bühne brachte?Senay Duzcu: Der erste Schritt auf die Bühne war ein großer. Ich habe aber auch zu Schulzeiten immer gern meine Aufsätze vorgetragen und oft spontan Applaus bekommen. Bei einer Salvador Dali Ausstellung habe ich später die Führungen gemacht. Das war einer der schönsten Jobs in meinem Leben, da ich ganz einfachen Menschen ein Kunstwerk näher bringen konnte. Mit Geschichten undAnekdoten konnte ich den Künstler dann den Leuten näherbringen, die dann gesagt haben, dass sie zum ersten Mal richtig verstanden haben, was für ein Mensch das war.RG: War es schon während des Architektur Studiums Ihr geheimer Wunsch, Profi - Comedian zu werden?Senay Duzcu: Mein geheimer Wunsch war es, Schauspielerin zu werden. Ich fand es immer so schön, die Schauspieler in den Filmen zu sehen. Aber das kam nie in Frage, meine ganze Verwandtschaft hat sich das nie vorstellen können. Es gibt in der Schauspielerei ja auch Rollen, wo man küssen muss, das wäre für meine Eltern ganz schlimm gewesen. Die hätten es lieber gesehen, wenn ich Juristin oder Ärztin geworden wäre. Oder Ingenieurin. Ich habe dann mal mit meinem Vater gesprochen, dass ich doch, wenn ich Schauspielerin werde, all das im Film sein kann: Juristin, Ärztin oder Ingenieurin. Mein Vater hat dann gefragt: „Auch Hure? Dann will ich das nicht.“RG: haben Sie noch einen Alibi-Beruf oder sind Sie hauptberuflich lustig?Senay Duzcu: Ich bin heute Vollzeit Comedian.RG: Wie setzt sich das Publikum bei Ihren Auftritten zusammen? Provozierend gefragt: Sind es ausschließlich deutsche Lehrer, die politisch korrekt im Ethno-Kabarett auch mal über Türken lachen wollen oder ist das eine bunte Mischung aus allen Nationalitäten und Altersstufen?Senay Duzcu: Das Publikum ist eine bunte Mischung. Leider sind Türken immer noch nicht so offen für Kabarett. Wenn sie kommen, sind es diejenigen, die am meisten lachen. Sie sind noch nicht die Theater- oder Comedygänger, das kommt aber jetzt so langsam und wird mehr. Aber die, die da sind, können sich immer wieder selbst wiedererkennen. Comedy funktioniert ja am besten, wenn man sich selbst wiedererkennt und denkt: Oh Gott, das kenne ich auch…RG: Gibt es Themen, die für Sie tabu sind?Senay Duzcu: Tabu - Themen gibt es für mich nicht, aber Themen, die mir keinen Spaß machen. Politische Sachen zum Beispiel, darüber möchte ich mich nicht mit dem erhobenen Zeigefinger äußern und mich lustig machen. Irgendwelche Fäkalienwitze würde ich auch nicht machen. Zur Religion gibt es mal einen Schlenker, aber ohne dass ich irgendwen missionieren will und schon gar nicht um irgendetwas der Schlagzeile wegen zu sagen, nur um berühmt zu werden. Ich nehme die Themen, auf die ich Bock habe.RG: Gab es auch schon Anfeindungen?Senay Duzcu: Nein, bis jetzt gab es noch keine Anfeindungen.RG: Sind Sie ein Vorbild für türkische Mädchen und Frauen?Senay Duzcu: Ja, klar. Ich bin sicher für viele ein Vorbild, auch für deutsche. Allein schon mit meinem Studium, dass ich das geschafft habe und das Hochbegabten – Stipendium bekommen habe. Ein Vorbild für alle, die denken, sie könnten etwas nicht schaffen, für alle, die einen Traum haben und sich nicht trauen. Ich habe meinen Traum verwirklicht; etwas geschafft, was ich eigentlich gar nicht hätte schaffen können.RG: Haben Sie selbst auch Vorbilder?Senay Duzcu: Ich habe so viele Vorbilder. Nelson Mandela zum Beispiel hat ja das Unmögliche möglich gemacht. Wer hätte gedacht, dass ein Mensch, der aus dem Gefängnis kommt, so voller Liebe ist. Mahatma Gandhi ist auch ein für mich wichtiger Mensch.Es gibt immer so viele Gründe, warum etwas nicht klappen kann. Ich halte mich lieber an die Gründe, warum es geschehen könnte. Ich möchte ja kein Baum oder eine Blume werden: Das wäre unmöglich. Ich möchte etwas werden, was für Menschen möglich ist. Und wenn andere es geschafft haben, warum nicht auch ich?RG: Sie sprechen in Ihrem Programm über Ihre Familie: Ist das weitestgehend real oder sind es Kunstfiguren wie die ominöse Freundin von Mario Barth?Senay Duzcu: Mario Barths Freundin gab es ja tatsächlich. So ist es aber bei fast allen Comedians: Die Personen gibt es schon, die Darstellung wird nur einfach übertrieben. So ist es auch mit meiner Familie.RG: Wie reagiert Ihre Familie darauf, dass sie Gegenstand eines Comedy Programms sind?Senay Duzcu: Meine Eltern sind eher in den türkischen Sendungen unterwegs, das bekommen sie so im Detail nicht mit. Sie hören immer mal was von hier und da, aber hätten es trotzdem lieber, wenn ich einen normalen festen Job hätte. Wenn ich jetzt berühmt wäre wie Mario Barth würden sie wahrscheinlich sagen: Super. Aber so ist es „nicht Fisch, nicht Fleisch“ und deshalb machen sie sich natürlich immer Sorgen.RG: Was unterscheidet deutschen und türkischen Humor?Senay Duzcu: Der türkische Humor lebt mehr durch das Nachmachen von Menschen, vom Slapstick und der Körperlichkeit. Der deutsche Humor lebt eher durch das Wortspiel.RG: Ist die Zeit reif für Auftritte von Senay Duzcu in der Türkei? Haben Sie ein Programm in türkischer Sprache?Senay Duzcu: Ich habe noch nie einen Auftritt in der Türkei gehabt. Ich kann nur für Deutsche oder Türken in Deutschland spielen, die meine Situation kennen. Sonst können sie die Dinge, von denen ich spreche, nicht richtig nachvollziehen.RG: Ihr Engagement für die Völkerverständigung brachte Ihnen 2007 den Deutsch-Türkischen Freundschaftspreis und Sie waren und sind gern gesehener Gast in Radio und Fernsehen. Sind Sie eine „vollintegrierte Vorzeigepromitürkin“?Senay Duzcu: Das war im Bereich Kultur. Es haben sieben türkische Frauen, die erfolgreich waren in verschiedenen Bereichen, diesen Preis bekommen. Ich halt im Bereich Kultur. Aber nein, mich kann man in eine solche Schublade nicht schieben. Ich habe mich nicht entwurzelt und liebe meine Wurzeln, bin dann aber auch wieder froh die deutsche Klarheit, Struktur und Nüchternheit zu haben. Wenn ich einen Beipackzettel auf Deutsch schreiben würde, hätte er eine Seite, der gleiche Beipackzettel hätte auf Türkisch acht Seiten, da alles ausgeschmückt würde. Der deutsche Teil in mir kann dann auch mal auf den Punkt kommen. Deshalb könnte ich auch nicht mehr in der Türkei arbeiten: Das manchmal planlose, kurzfristige, oft chaotische Arbeiten könnte ich nicht mehr.RG: Hui, das klingt nach Futter für deutsche Vorurteile gegenüber der Arbeitsweise „des Südländers im Allgemeinen und des Türken im Speziellen“…Senay Duzcu: Das Interessante ist ja, dass sie in der Türkei immer damit zurechtkommen. Es funktioniert ja. Wenn sie mit ihrer Arbeitsweise nicht weiterkommen würden, würden sie es ja nicht machen. Und wenn es das letzte Mal geklappt hat, wird es diesmal doch auch irgendwie gutgehen. Dafür sind die Deutschen zu ängstlich.RG: Da könnte etwas dran sein... Was erhoffen Sie sich für die Zukunft und die eigene Karriere? Sind die Stadiontourneen von Barth, Mittermaier und Co. etwas, wovon Sie heimlich träumen?Senay Duzcu: Ja, ich möchte gerne einmal vor 50000 Leuten spielen und eine eigene TV Sendung haben.RG: Dann drücke ich ab sofort die Daumen dafür. Über welchen Comedian lacht Senay Duzcu privat?Senay Duzcu: Früher habe ich Hildebrandt sehr gut gefunden, Helge Schneider ist auch toll, Heinz Erhardt war ein ganz großer Komiker. Das war richtig gutes Handwerk. Heute finde ich Hagen Rether sehr gut, auch wenn man da nicht immer lachen muss, aber der hat eine richtige Message.RG: O.k., Lernzielkontrolle: Wenn ich richtig aufgepasst habe, hätte Hagen Rether mit seinem Humor keine Chance, in der Türkei berühmt zu werden, Helge Schneider jedoch eine große Zukunft vor sich?Senay Duzcu: Richtig, gut aufgepasst (lacht).RG: Haben Sie noch eine tolle Antwort auf eine Frage, die ich nicht gestellt habe? Oder haben Sie eine Botschaft an die Welt und unsere Leser auf dem Herzen?Senay Duzcu: Ja: Glaubt nicht immer das, was die Medien erzählen. Recherchiert selbst und denkt selbst. Das ist meine Message für diese Zeiten. Ansonsten nehmt Euch selbst nicht zu ernst, das Leben ist zu kurz. Ihr seid etwas Besonderes, aber Euer Leben ist kein Auto, das Ihr ständig reparieren müsst. Geht ins Leben, seit frei und lebt einfach. Seit neugierig und geht auf andere Menschen zu; macht das, was Ihr liebt.RG: Noch schnell eine letzte Frage: Gab es jemals einen netteren Journalisten, der Sie interviewte?Senay Duzcu: Nein, natürlich waren Sie der netteste Journalist von allen…RG: Dann danke ich für das tolle Gespräch. Mit diesem Lob, das natürlich völlig unerwartet kam, kann ich heute Nacht sicherlich gut schlafen. Ihnen viel Erfolg auf Ihrem Weg und TOI TOI TOI, dass es mit der eigenen TV Show bald klappt.