RuhrGesichter Im Rahmen der Ruhrtriennale haben wir uns „The Visitors“ der argentinischen Choreografin Constanza Macras im Landschaftspark Duisburg Nord angeschaut.

The Visitors                                                                

Virtuoses Tanzstück im Rahmen der Ruhrtriennale

Oberflächlich    betrachtet,    könnte    man    „The    Visitors“    als    einhundertminütigen tänzerischen    Versuch    beschreiben,    einen    Bogen    von    blutigen    Horror-    und Slasherfilmen   zur   Gewalt   in   Südafrika   zu   schlagen,   um   dann   kurz   zu   erklären, dass   das   betroffen   auf   den   Stühlen   hockende   Publikum   (Mit-)Schuld   daran   trägt. So    weit,    so    zeitgeistig,    so    simpel,    so    infantil.    Bildlich    gesprochen    wird zielgruppengerecht   ein   großer   Schuldschuh   auf   die   Bühne   getanzt   und   dann gefragt:   „Wer   möchte   ihn   sich   anziehen?   Irgendwer?“   Damit   könnten   wir   uns   in Zeiten,    in    denen    Geburtshilfe,    Mathematik,    Apfelkuchen,    Pizza    Hawaii    und Winnetou     rassistisch     sind     und     der     (alte)     weiße     Mann     am     Elend     der Weltbevölkerung   und   dem   Untergang   des   Planeten   schuldig   ist,   kopfschüttelnd von   dem   Stück   abwenden   und   im   Landschaftspark   Duisburg   Nord   lieber   eine vegane Currywurst essen gehen. Doch    ganz    so    einfach    ist    es    nicht.    Zum    einen    ist    „The    Visitors“    virtuos choreografiert,   das   Ensemble   DorkyPark   und   weitere   junge   Tänzer   aus   Südafrika bringen   mit   viel   Energie   und   großer   theatralischer   Abwechslung   die   Gewaltorgie mit   Tanz   und   Gesang   auf   die   Bühne.   Wie   so   oft,   ist   auch   dieses   Stück   20   bis   30 Minuten   zu   lang   für   den   dargestellten   Stoff.   Erwachsene   und   Kinder,   Profis   und Laien:   Dies   alles   ergibt   trotz   ein   paar   tänzerisch-darstellerischer   Fehlerchen   ein überraschend   stimmiges   Ganzes   und   ist   in   der   abwechslungsreichen,   oft   rauen Darstellung   Königsklasse   und   begeisternd;   nicht   nur   für   die   jungen   Leute   im Publikum,   die   nach   dem   Stück   völlig   vom   gesehenen   Tanz   beseelt   sind   und spätestens jetzt ein weiteres Ziel im Leben haben. Wirklich schön. Eine   der   Basishypothesen   des   Stücks,   auf   denen   inhaltlich   alles   episodenhaft aufbaut,   sind   die   Parallelen   zwischen   Slasherfilmen   und   postkolonialen   Strukturen in   Südafrika,   zum   Beispiel   in   der   strukturellen   Entmenschlichung   der   Opfer.   Das ist    eine    wilde    Konstruktion,    die    uns    bei    einem    belehrenden    (wortlastigen) Theaterstück    hinaus    aus    der    Gebläsehalle    des    LaPaDu    in    die    Nacht    zur Currywurst    getrieben    hätte,    zumal    der    Bogen    von    der    Apartheit    über    die Ausbeutung     Afrikas     von     der     Kolonialzeit     bis     heute     neben     allgemeiner Kapitalismuskritik   und   bürokratischem   Irrsinn   so   weit   geschlagen   wird,   dass   er am Rande ausfranst. Dies   führt   dazu,   dass   hier   einerseits   auf   einem   Gemeinplatz   der   Schuldzuweisung herumgetanzt   wird,   zum   anderen   hat   dies   jedoch   den   unbestreitbaren   Vorteil, dass   der   geneigte   Zuschauer   sich   mit   den   Mosaiksteinchen   beschäftigen   kann,   zu denen   er   eine   Affinität   besitzt.   Es   liegt   also   im   Eigentlichen   gar   kein   Schuldschuh auf   der   Bühne,   sondern   ein   ganzer   Berg   davon   in   allen   Formen   und   Farben,   aus denen   sich   das   Publikum   bedienen   kann   oder   die   es   eben   auch   ablehnen   kann; beides     erzeugt     neben     dem     darstellerischen     Anspruch     einen     positiven, verinnerlichenden   Effekt.   Kaum   jemand   im   Publikum   wird   das   Tanztheater   einfach „wegkonsumieren“,   wie   es   mit   einem   schönen   Chorkonzert   trefflich   gehen   würde. Deshalb funktioniert und begeistert das Stück von Constanza Macras. „The   Visitors“   arbeitet   mit   eindrücklichen   Bildern,   Spiegelsplittern   einer   Idee,   die sich    dann    assoziativ    zusammenfügen.    Dieses    nicht    –    lineare    verwischen, vorsichtige   Berühren   und   Umkreisen   des   Themas   funktioniert   gut,   auch   und gerade   im   Kontrast   zu   den   Songs,   den   Chorliedern   und   den   getanzten,   sehr konkreten Gewaltszenen. Unser     Highlight     war     definitiv     das     Gesangsduett     von     „Bürokratie“     und „Korruption“.    Gelegentlich    waren    die    dargestellten    Bilder    unklar    vertanzt, zumindest   uns   erschlossen   sie   sich   nicht   alle.   Aber   auch   in   diesen   „unscharfen“ Momenten   bestach   die   Choreografie   durch   viele   frische   Ideen   und   lebte   auch   von der    unbändigen    Energie    der    Tänzer    und    vom    clever    gesetzten    Erzählertext (umwerfend vorgetragen!). Die    getanzten    Bilder    zu    den    passenden    Beats    waren    oft    ein    spürbarer Befreiungskampf,   um   sich   von   den   Monstern   der   Vergangenheit   loszumachen   um überhaupt   Alternativen   denken,   entwerfen,   tanzen,   träumen   zu   können.   In   der Mitte    des    Stücks    geben    wir    zu,    dass    uns    die    Lust    am    Zuschauen    etwas weggetanzt   wurde,   in   den   letzten   20   Minuten   hatte   das   Ensemble   uns   jedoch wieder   mit   einer   famosen   Zombie-Apokalypse   mit   anschließendem   Schlusschor. Gelungen!  
© Ursula Kaufmann
© Ursula Kaufmann
© Ursula Kaufmann