RuhrGesichter

Teil 2 des Interviews mit dem Ethnologen                                

und Voodoo - Eperten Henning Christoph.

Voodoo!

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Im   zweiten   Teil   des   Interviews   berichtet   Henning   Christoph   über   den   Umgang   des   Katholizismus   mit Voodoo,   erzählt   uns   die   spannende   Entstehungsgeschichte   vom   Rüttenscheider   Mami   Wata   Altar   und welche Rolle bayrische Blasmusik dabei spielte. RG:   Sie   sagten,   dass   der   positive   Grundbegriff   im   Voodoo   Heilung   ist.   Im   Christentum   wäre   das sicherlich   Erlösung,   der   negative   Begriff   die   Schuld.   Liege   ich   falsch,   wenn   ich   vermute,   dass   der negative Grundbegriff im Voodoo die Angst ist? HC:   Schon;   Angst   ist   immer   da,   dass   man   verhext   wird.   Dann   wendet   man   sich   wieder   an   die   Götter   und macht Zeremonien für den Schutz. RG: Gibt es so etwas wie eine Hölle? HC:   Nein,   gar   nicht.   Das   Schlimmste   ist,   eine   unruhige   Seele   zu   werden.   Die   müssen   dann   ins   Totenreich gebracht   werden.   Zur   unruhigen   Seele   werden   oft   Menschen,   die   durch   Gewalt   gestorben   sind,   durch einen   Unfall   oder   Mord;   Menschen,   die   nicht   vorbereitet   sind   auf   das   Sterben.   Unruhige   Seelen   können großen    Schaden    anrichten,    weil    sie    einfach    ihren    Weg    nicht    finden.    Diese    muss    man    dann    mit Zeremonien begleiten ins Totenreich. RG:   Der   Voodoo   hat   ja   offenbar   die   Christianisierung   überstanden.   Hat   er   sich   besonders   gut   versteckt oder war er besonders durchlässig für den neuen Glauben? HC:   Man   bedient   sich   ja   auch   bei   den   Moslems,   dort   steht   ein   Imam,   hier   vor   dem   Altar   eine   mit Pflanzen   vollgestopfte   Madonna.   Man   sagt,   Maria   ist   eine   schöne   Frau,   eine   heilige   Frau,   also   kann   sie auch   eine   Mami   Wata   sein.   In   Benin   lebt   der   Voodoo   heute   mit   dem   Katholizismus   sehr   friedlich zusammen.   In   den   katholischen   Kolonien   war   es   natürlich   immer   sehr   leicht,   da   konnte   man   die Voodoogötter   einfach   hinter   den   Heiligen   verstecken.   In   den   evangelischen   Kolonien   war   es   schwieriger, es gab keine Figuren. In   Benin   hat   die   katholische   Kirche   heute   kein   großes   Problem   mit   Voodoo.   Ein   paar   der   besten   Autoren über   Voodoo   in   Benin   sind   katholische   Priester,   die   aus   Voodoofamilen   kommen;   da   wird   der   Voodoo nicht   verdammt.   Wenn   Sie   in   Cotonou   am   Rande   des   Marktes   in   der   Dunkelheit   eine   Nacht   bei   der großen, alten Legbafigur warten, sehen Sie nicht nur Politiker, sondern auch katholische Geistliche. RG:   Sie   haben   an   anderer   Stelle   berichtet,   dass   Sie   sich   in   einen   Geheimbund   initiieren   lassen   mussten, um   gewisse   Dinge   zu   dokumentieren.   Ist   die   kritische,   wissenschaftliche   Distanz   des   Beobachters   unter solchen   Umständen   überhaupt   noch   aufrecht   zu   erhalten   oder   anders:   Macht   man   sich   beim   Eintauchen in   die   Welt   des   Voodoo   nicht   doch   zumindest   auch   die   Füße   nass   oder   kann   man   tatsächlich   trocken bleiben und sich ausschließlich auf das Dokumentieren beschränken? HC:   Wenn   Sie   vollständig   in   diese   Welt   eintauchen,   können   Sie   nicht   mehr   arbeiten.   Das   versuche   ich immer   zu   vermeiden.   Die   Füße   mache   ich   mir   aber   immer   nass,   sonst   käme   ich   auch   an   die   Sachen   nicht dran.   Es   ist   auch   durch   sehr   viel   Geduld   und   die   Akzeptanz,   die   ich   zeige,   gewinne   ich   auch   Respekt   und so lässt man mich da rein und die Zeremonien dokumentieren. RG: Wie lange beschäftigen Sie sich mit dem Thema? HC: Seit 45 Jahren. RG: Wie kommt man als junger Ethnologe ausgerechnet auf ein solches Thema? HC:   Ich   bin   1950   mit   meiner   Familie   ausgewandert   nach   Amerika.   1956   hat   mein   Vater   das   erste Fernsehgerät    gekauft,    in    dem    ich    Johnny    Weismüller    als    Tarzan    gesehen    habe.    Mich    hat    sofort interessiert,   was   die   Stämme   da   unten   machten.   Da   habe   ich   als   Junge   bereits   alles   verschlungen,   was es   über   Afrika   zu   sehen   und   zu   lesen   gab.   Als   ich   dann   zur   Uni   kam,   war   das   einzige,   was   ich   studieren wollte   Ethnologie   und   Afrika.   Nach   dem   Studium   bin   ich   dann   1967   nach   Deutschland   zurück   gegangen, um   von   hier   aus   zu   versuchen,   nach   Afrika   zu   kommen.   Das   gelang   mir   auch   durch   verschiedene Hilfswerke   wie   Misereor,   aber   diesen   katholischen   Blick   auf   Afrika   fand   ich   dann   so   furchtbar,   dass   ich kurz   nach   dem   Start   von   GEO   1976   dort   unterkam   und   dann   fünfzehn   Jahre   für   GEO   in   Afrika   gearbeitet habe.   Eine   der   GEOgeschichten   war   über   Benin;   dort   hatte   ich   –noch   zur   sozialistischen   Zeit   dort- allerdings   einen   Aufpasser   bekommen.   Das   gefiel   mir   gar   nicht,   dann   habe   ich   den   geschmiert,   dass   er wegguckt   und   bin   dann   nach   Lake   Nokoué   gegangen.   Ein   malariaverseuchtes   Gebiet,   die   Menschen leben   auf   dem   See;   ich   hatte   gehört,   dass   dort   französische   Missionare   leben   sollten.   Es   stellte   sich   dann heraus,   dass   von   denen   nur   noch   einer   übrig   war,   die   anderen   sind   alle   an   Malaria   gestorben.   Dieser letzte   Priester   war   halbverrückt;   aber   ich   konnte   bei   ihm   bleiben,   um   dort   meine   „Land   und   Leute“ Reportage   zu   machen.   Eines   Abends   saß   ich   mit   dem   Priester   auf   der   Veranda   und   ich   hörte   Trommeln, wie   ich   sie   noch   nie   gehört   hatte   in   Afrika.   Ich   fragte   den   Priester,   was   das   sei.   Er   antwortete   nicht.   Ich habe   ihn   nochmal   gefragt.   Er   antwortet   nicht.   Beim   dritten   Mal   guckte   er   mich   an   mit   seinen   roten Augen an –ein starker Trinker und Kettenraucher- und sagte: Der Teufel. Das   hat   mich   natürlich   sehr   interessiert.   Ich   hatte   zu   der   Zeit   einen   Bootsmann,   dem   ich   gesagt   habe,   er solle   mich   hinbringen,   wo   die   Trommeln   schlagen.   Das   wollte   er   erst   nicht,   ich   habe   ihn   dann   aber   dazu gebracht,   dass   er   mich   hinfährt.   Auf   einer   kleinen   Insel   sah   ich   dann   tanzende   Männer,   die   sich   mit Messern   in   den   Körper   schnitten.   Ich   konnte   ein   paar   Bilder   machen,   wurde   dann   aber   verscheucht   und ich   fragte   den   Bootsmann,   was   das   sei.   Er   sagte   nur:   Coco   Coco.   Ich   fragte   nochmal   und   er   sagte: Voodoo. Als ich wieder beim Priester war, fragte er wo ich war und ich sagt nur: Coco. Da   zog   er   sofort   seinen   Rosenkranz   raus,   hat   sich   hingekniet   und   fing   an   zu   beten.   Und   ich   wusste, dahin   muss   ich   unbedingt   zurück.   Die   Geschichte   ist   dann   in   GEO   erschienen   und   danach   hat   mich   dann die   UNESCO   gefragt,   ob   ich   etwas   für   sie   machen   würde.   Die   haben   mich   dann   für   zwei   Jahre   finanziert, so dass ich bei GEO aufgehört habe und für die UNESCO nach Benin gegangen bin. Ich   komme   in   Benin   am   Flughafen   an,   da   steht   dort   ein   junger   Mann   und   fragt   mich,   ob   ich   einen   Führer brauche.   Ich   habe   gesagt:   Ja,   wenn   Du   mich   zu   Voodoo   Zeremonien   bringst,   dann   kann   ich   Dich brauchen. Er   lächelte   nur,   holte   mich   am   nächsten   Morgen   im   Hotel   ab.   Ich   fragte   ihn,   wo   wir   hinfahren   und   er sagte,   dass   wir   zu   seinem   Onkel   fahren.   Und   dieser   Onkel   war   Soza   Gedenge,   der   größte   Voodoo Priester in Benin. RG: Und dort sind Sie dann geblieben? HC:   Ja,   er   fragte   mich,   was   ich   wolle.   Ich   sagte   ihm,   dass   ich   alles   lernen   wollte   über   Voodoo.   Dann sagte er, gut, dann musst Du drei Monate bei mir wohnen. Ich   bin   dann   bei   ihm   eingezogen,   durfte   in   der   Zeit   kein   Bild   machen,   aber   zu   seinen   Zeremonien   gehen. Nach   den   drei   Monaten   hat   er   mir   ein   Bild   von   sich   gegeben,   18x24   cm,   das   sollte   ich   hinter   die Autoscheibe   kleben.   In   jedem   Dorf,   in   das   ich   dann   mit   seinem   Neffen   kam,   durfte   ich   bleiben   und fotografieren. Das Bild war dort ein Pass. Ich   hatte   1994   dann   ein   Buch   herausgebracht,   Soza   war   sehr   stolz   auf   dieses   Buch,   hielt   es   hoch   in   einer großen   Zeremonie   und   sagte:   „Jetzt   sieht   die   Welt,   was   Voodoo   wirklich   ist.“   Danach   hat   er   mich vorgestellt   und   gesagt,   ich   sei   jetzt   der   Chronist   des   Voodoo.   Danach   waren   dann   endgültig   alle   Türen offen und die volle Akzeptanz kam. RG:   Sie   haben   hier   diese   unglaubliche   Sammlung   zusammengetragen   und   einen   aktiven   Mami   Wata Altar errichten können. Wie ging das? HC:   Als   ich   das   Museum   eröffnet   hatte,   waren   auch   immer   wieder   Priester   aus   Benin   hier.   Museum   war natürlich kein Begriff für sie, das war für sie ein Tempel. Ich   hatte   damals   die   Idee,   dass   ich   einen   aktiven,   lebendigen   Altar   wollte,   den   ich   auch   in   anderen europäischen   Museen   zeigen   könnte.   Dann   habe   ich   den   großen   Priester   Soza   Gedenge   gefragt,   ob   er das   machen   kann   für   mich.   Dann   hat   er   lange   überlegt,   hat   das   Orakel   befragt   und   hat   eine   positive Antwort   bekommen.   Er   sagte,   wir   müssen   das   Holz   nehmen   von   einem   Iroko   Baum.   Das   ist   im Voodooglauben   der   Gott,   der   einen   Teil   der   Seelen   aufnimmt   nach   den   siebzehn   Inkarnationen.   Und einen   beseelten   Baum   darf   man   nicht   einfach   schlagen,   den   muss   man   fragen   und   eine   Zeremonie machen.   Ich   war   einverstanden.   Die   Zeremonie   dauerte   allerdings   drei   Tage   und   drei   Nächte   und   ich hatte   zweihundertfünfzig   Gäste,   die   ich   bewirten   musste.   Am   Ende   hatte   ich   dann   riesige   Äste   des Baumes. RG: Wie ging es dann weiter? HC:   Als   erstes   wurden   die   drei   schwarzen   Figuren   geschnitzt,   das   sind   die   Kundschafter.   Die   sollte   ich hierher    nach    Essen    bringen,    aufstellen,    alle    drei    Monate    fotografieren    und    die    Fotos    zeigen.    Die Kundschafter   sollten   also   berichten,   ob   es   sicher   ist,   für   die   anderen.   Es   dauerte   neun   Monate,   bis   ich eine   positive   Antwort   bekam.   Als   nächstes   wurde   dann   Mami   Wata   geschnitzt.   Nachdem   sie   fertig   war, musste   ich   wieder   so   eine   große   Zeremonie   machen.   So   langsam   ging   mein   Geld   aus.   Ich   dachte ursprünglich,   ich   bekomme   die   einundvierzig   Figuren   recht   zügig.   Einundvierzig   deshalb,   weil   das   die heilige   Zahl   ist   im   Voodoo,   obwohl   keiner   sagen   kann,   warum.   Aber   das   sind   Wassergeister,   von   denen es   Tausende   gibt   und   Soza   Gedenge   sagte   mir,   sie   müssen   zu   ihm   im   Traum   kommen.   Die   Träume   haben dann sechs Jahre gedauert, denn er hat natürlich nicht jede Nacht davon geträumt. Immer   wenn   er   eine   Figur   sah,   hat   er   seinem   Schnitzer   gesagt,   was   er   gesehen   hat.   Im   Traum   mussten die   Geister   sich   dann   benennen   und   ihre   Reisezeit   angeben.   Die   Reisezeiten   waren   natürlich   immer   sehr, sehr schlimm, zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens. Ich   war   zu   der   Zeit   nur   am   hin-   und   herfliegen.   Zwei   Autos   habe   ich   zu   Schrott   gefahren,   weil   das   Dorf tief im Busch liegt und nachts durch den Busch zu fahren ist sehr gefährlich. 1999   war   der   Altar   dann   fertig.   Er   sagte,   er   würde   es   dann   hier   installieren,   aber   wir   müssten   sechs deutsche   Flüsse   besuchen,   weil   Mami   Wata   die   Wasserwege   in   Deutschland   kennenlernen   muss.   An jedem   Fluss   musste   eine   Zeremonie   gemacht   werden.   Ich   war   einverstanden,   aber   dann   gab   er   mir   die Liste   von   den   Begleitern.   Das   waren   zweiundzwanzig   Frauen,   drei   Trommler,   drei   Helfer   und   er.   Sie können   sich   vorstellen,   wenn   man   hier   zum   Ausländeramt   geht   und   versucht,   Visa   für   so   viele   Afrikaner zu kriegen, die haben mich für verrückt erklärt. Ich habe es dann am Ende aber durchgesetzt. Ich   habe   dann   immer   Bauern   gefunden   für   jeweils   eine   Woche,   die   mir   eine   Scheune   vermietet   haben, die    natürlich    nie    direkt    an    den    Flüssen    lagen.    So    mussten    wir    in    der    deutschen    Provinz    mit zweiundzwanzig   ganz   in   weiß   gekleideten   Frauen   mit   weiß   gepuderten   Gesichtern   und   weiß   gepudertem Haar,   die   in   Trance   die   Figuren   trugen,   über   Landstraßen   und   Feldwege   zu   den   Flüssen   laufen.   Ich   hatte die   größte   Befürchtung,   ob   das   gut   geht.   Autos   stoppten,   Leute   staunten,   aber   es   hab   nie   ein   Problem. Bayern   habe   ich   ganz   ans   Ende   gesetzt,   da   hatte   ich   die   größten   Befürchtungen.   Dort   hatten   wir   dann aber   einen   sehr   netten   Wirt.   Die   Zimmer   waren   über   der   Wirtsstube.   Und   gerade   in   diesem   Haus   gingen die   Frauen   jede   Nacht   in   Trance.   Sie   schrien   herum   und   rannten   durch   das   Haus,   während   die   Bayern unten   gemütlich   in   der   Wirtsstube   saßen   und   ihr   Bier   getrunken   haben.   Der   Wirt   fand   das   alles   so   schön und   exotisch,   am   letzten   Abend   hat   er   dann   ein   Abschiedsfest   gemacht   und   eine   Blaskapelle   bestellt,   die dann   gemeinsam   mit   den   Trommlern   aus   Benin   spielten   und   die   Beniner   und   die   Bayern   tanzten zusammen. Es war surreal. Am Ende wurden die Figuren dann installiert, so dass jetzt der Altar vollständig ist. RG: Ist der Altar denn wie geplant auch in anderen Museen ausgestellt worden? HC:   2001   war   eine   große   Ausstellung   im   Kunstpalast   in   Düsseldorf   „Die   Altäre   der   Welt“.   Dort   war   ich Kurator   für   den   afrikanischen   Voodoo   und   habe   unter   anderem   diesen   Altar   ausgestellt.   Aber   ich   darf den    nicht    einfach    abbauen,    das    müssen    immer    Priester    machen,    sonst    hat    man    Chaos.    In    dem Kunstpalast   waren   die   Priester   dann   zehn   Tage   dabei.   Dort   passierten   ganz   eigenartige   Sachen.   Frauen, die   mit   echten   Perlenketten   kamen,   standen   vor   dem   Altar   und   die   Perlenketten   platzten.   Die   zwei Priester,    die    da    saßen,    lachten    sich    jedes    Mal    kaputt.    Das    Museum    hat    dann    extra    einen Securitymenschen   abgestellt,   der   die   Perlen   immer   wieder   aufgesammelt   hat.   Das   ganze   sorgte   für Irritationen,   so   dass   ich   gebeten   wurde   die   beiden   zu   fragen,   ob   sie   irgendwas   machten.   Die   beiden sagten   aber   nein,   sie   machten   nichts,   aber   die   Frauen   hätten   Mami   Wata   nicht   gefragt,   ob   sie   die   Perlen aus dem Wasser nehmen dürfen. RG: Aber an dem Standort hier gab es noch keine Zwischenfälle? HC:   Wenn   ich   in   Benin   bin   und   um   Mitternacht   an   einer   Mami   Wata   Zeremonie   teilnehme   am   Meer,   dann sehe   ich   an   den   Protokollen,   wenn   ich   zurück   bin,   dass   zu   genau   der   Zeit   hier   die   Alarmanlage losgegangen   ist.   Wenn   ich   das   in   Benin   erzähle,   dann   sagen   die   dort,   dass   die   Götter   hier   einfach mitfeiern.   Nur   der   Securitymann   hier   hatte   irgendwann   einen   Wahnsinnsschiss   und   kommt   jetzt   nicht mehr. RG: Wie reagieren andere afrikanische Besucher auf das Museum? HC:    Die    kommen    nicht    hierher,    da    die    meisten    mit    Voodoo    nichts    zu    tun    haben,    sondern    meist christlichen Sekten angehören. RG: Aber es muss doch auch in Deutschland Voodoogemeinden geben? HC:   Nein,   gibt   es   nicht.   Wir   haben   keine   Asylanten   aus   Benin   hier,   so   konnte   ich   übrigens   auch   damals die   große   Gruppe   aus   Benin   hierher   holen,   da   es   einfach   keine   Asylanten   gibt.   Es   gibt   ein   paar Studenten und vielleicht den einen oder anderen Arzt aus Benin und das war es. Ein   paar   Leute   aus   Togo   und   Ghana   kommen   noch   hierher.   Aber   die   meisten   Afrikaner,   die   hier   sind, gehören   zu   christlichen   Sekten.   Es   gibt   ein   paar   Dinge   anderen   Ursprungs   hier   in   Deutschland,   aber keinen westafrikanischen Voodoo. RG:    Ich    kann    mir    vorstellen,    warum    jemand    Priester    wird    im    Voodoo:    Heilung,    Ansehen,    Macht, Berufung…   Warum   Menschen   einen   Bedarf   haben,   einen   Schadenszauber   anzuwenden,   kann   ich   mir auch    vorstellen.    Aber    warum    wird    jemand    ein    Hexer,    der    sich    ja    scheinbar    ausschließlich    mit Schadensmagie befasst? HC:   Kein   Hexer,   sondern   Aseto.   Das   wird   meist   vererbt.   Es   ist   aber   auch   sehr   gefährlich,   ein   Aseto   zu werden.   Denn,   wenn   man   Missbrauch   macht,   dann   kommt   es   auf   ihn   zurück.   Der   Aseto   lebt   ein gefährliches   Leben.   Viele   von   ihnen   leben   nicht   sehr   lange.   Ein   Priester,   der   heilt,   wird   niemals   einen Schadenszauber   machen.   Wenn   ich   also   jemandem   Schaden   zufügen   möchte,   gehe   ich   zu   einem   Aseto. Der   Aseto   prüft   den   Fall,   macht   eine   Orakellesung   und   schaut,   ob   es   gerechtfertigt   ist.   Zum   Beispiel,   ob es   gerechtfertigt   ist   mit   Schadenszauber   Schulden   einzutreiben   und   welcher   Schaden   angemessen   ist. Ich   darf   also   nicht   gleich   jemanden   wegen   Schulden   umbringen.   In   einer   Gesellschaft,   wo   alle   dran glauben, funktioniert das auch. RG: Funktioniert das auch, wenn der Schuldner nicht weiß, dass der Gläubiger zu einem Aseto geht? HC: Ich würde sagen nein, aber ich kann das natürlich nicht beweisen. RG:   Das   bedeutet,   dass   Schadensmagie   nicht   immer   böse   ist   und   gemeinsam   mit   der   Heilungsmagie   Teil ein und desgleichen Systems ist. Die Hexerei ist dann außerhalb des Systems? HC:   Ja,   Hexerei   ist   immer   böse.   Die   geheimen   Hexengesellschaften   tun   nur   böses.   Es   ist   ein   komplexes Thema.   Den   Aseto,   der   korrekt   arbeitet,   braucht   auch   die   Gesellschaft.   Der   Aseto   hat   aber   auch Verbindungen   zu   den   Hexen.   Der   Hexenglaube   in   ganz   Afrika   nimmt   ja   zu.   Das   hat   viel   mit   Neid   zu   tun, der   eine   hat   eine   bessere   Ernte,   der   andere   eine   schlechtere   und   schon   müssen   sich   beide   vor   der möglichen Hexerei des anderen schützen. RG: Das bedeutet, eine Hexe will Macht und anderen Menschen schaden. Richtig? HC:   Es   geht   um   Schaden   und   darum,   Böses   zu   tun.   Das   kann   wieder   aus   Neid   sein,   wenn   andere   etwas haben,   was   ich   nicht   habe   und   ich   sie   dafür   strafen   möchte.   Gerade   bei   jungen   Mädchen   kommt   es   oft vor,   dass   sie   sagen,   dass   sie   Hexen   sind.   Ich   hatte   einen   Fall,   eine   Vierzehnjährige,   die   in   einer   großen Familie   lebte.   Die   ältere   Schwester,   neunzehn,   hatte   ein   Kind   bekommen.   Jetzt   hat   der   Vater   gesagt, dass   die   jüngere   Schwester   die   ganzen   Aufgaben   von   der   älteren   Schwester   mit   erledigen   muss.      Ein Kind   in   diesem   Alter   ärgert   sich,   wie   Kinder   manchmal   sind,   und   wünscht   dem   Vater   den   Tod   und   auch dem   Baby.   Und   so   kam   es,   der   Vater   starb   und   auch   das   Baby   starb.   Jetzt   bekam   das   Mädchen Schuldgefühle   und   die   Nachbarn   der   Familie   bemerkten,   dass   das   Mädchen   sich   sehr   eigenartig   verhält. Sie   hat   dann   zugegeben,   dass   sie   eine   Hexe   sei.   Im   Schlaf   wäre   ihre   Großmutter   zu   ihr   gekommen   als Eule   und   habe   sie   mitgenommen,   sie   sind   herumgeflogen   und   hätten   dann   gemeinsam   das   Baby gekocht   und   gegessen.   Die   Familie   hat   sie   dann   zum   Aseto   gebracht.   In   einer   zehntägigen   Zeremonie wurde   dann   das   Mädchen   gereinigt   und   die   Hexenkraft   aus   ihr   herausgezogen.   Sie   wurde   danach   wieder in der Familie aufgenommen. Die   christlichen   Sekten   allerdings   gehen   da   anders   vor.   Es   ist   ja   sehr   schlimm   geworden   mit   den Verbrennungen    von    Hexen,    das    Herausbrennen    von    Zungen,    überstreifen    von    Reifen,    die    dann angezündet   werden.   In   Ghana   ist   das   so   schlimm,   dass   es   Internierungslager   für   Hexen   gibt,   um   sie   zu schützen. RG:   Das   bedeutet,   im   Voodoo   ist   es   der   Aseto,   der   die   Hexe   wieder   zurück   ins   System   und   ins Gleichgewicht bringt, indem er die Hexenkraft aus ihr herauszieht? HC:   Ja.   Die   große   Lebensgefahr   für   die   beschuldigten   Hexen   geht   heute   von   den   christlichen   Sekten   aus. Im   Voodoo   kann   ich   eine   Hexe   wieder   zurückführen   und   in   die   Gesellschaft   integrieren.   Die   Hexe   wird   im Voodoo geheilt, nicht umgebracht. RG: Habe ich eine Frage nicht gestellt, auf die Sie gerne geantwortet hätten? HC: Nein, Sie haben ganz gute Fragen gestellt. RG: Dann danke ich für die Blumen und das hochinteressante Gespräch. Der erste Teil des Interviews findet sich hier.  Kontakt: SOAM Soul of Africa Museum Rüttenscheider Str. 36 45128 Essen Telefon 0201 – 787640 www.soul-of-africa.com Öffnungszeiten: Do, Sa, So: 14:00 – 18:00 Uhr Fr: 18:00 – 22:00 Uhr