RuhrGesichter Ruhrtriennale - Intendant Ivo van Hove zeigt sich mit seiner Inszenierung „I Did It My Way“ einmal mehr entschlossen, das Festival mit popkulturellen Akzenten zu versehen. In seiner zweiten Saison stellt er erneut einen Schauspiel Star -diesmal Lars Eidinger- großen Songs gegenüber.

I Did It My Way                                                                    

Leben. Liebe. Musiktheater. Ruhrtriennale.

Sinatra   Songs   und   die   afroamerikanischen   Jazz-Ikone   Nina   Simone:   Das   ist   ein bewusster   Bruch   mit   klassischen   Formen.   Begleitet   von   vier   Tänzern   und   einer swingenden    Big    Band    wird    die    Live-Musik    zum    Herzstück    der    Inszenierung. Visuell   bewegt   sich   die   Inszenierung   von   van   Hove   im   auch   im   letzten   Jahr bereits      bewährten      Stil:      minimalistische,      atmosphärische      Bildsprache, konzentrierte,   gute,   aber   nicht   spektakuläre   Choreografie   (Serge   Aimé   Coulibaly) und ein klares Bühnenbild, das der Musik Raum lässt. Die   Darbietung   setzt   stark   auf   die   emotionale   Wucht   von   Song   und   Stimme   mit unvergleichlichem Sound und Live-Performancequalität. I    Did    It    My    Way    erzählt    die    Geschichte    einer    Trennung    zwischen    zwei unvereinbaren   Lebensentwürfen:   Auf   der   einen   Seite   ein   weißer   Mann,   der   nicht an   die   Wandlungsfähigkeit   der   Liebe   glaubt,   auf   der   anderen   eine   schwarze   Frau, die    unbeirrbar    auf    Veränderung    hofft.    Sie    findet    ihre    Bestimmung    in    der amerikanischen      Bürgerrechtsbewegung      und      erhebt      ihre      Stimme      im leidenschaftlichen   Widerstand.   Er   bleibt   in   der   Kleinstadt   Watertown   zurück   –   tief verwurzelt   im   Gewohnten,   wendet   er   sich   der   Vergangenheit   zu,   unfähig,   einen Platz    in    der    Zukunft    zu    finden.    Die    Verbindung    von    Beziehungsdrama    und Rassismuskontext    könnte    ein    starkes    gesellschaftliches    Statement    sein    oder sogar     kontrovers     bearbeitet     werden.     Doch     die     Inszenierung     bleibt     hier weitgehend   abstrakt;   statt   aufrüttelndem   Imperativ   lässt   sich   das   Stück   als   ein melancholisches   Bild   einer   post-romantischen   Konfrontation   lesen   –   zwischen Stillstand und Neubeginn. Dieser   Verzicht   auf   das   Naheliegende   und   die   Bereitschaft,   dramaturgisch   sperrig zu   bleiben,   wo   die   Musik   ins   Klare   und   Eindeutige   locken   möchte,   ist   Makel   und Vorteil   zugleich.   Die   Inszenierung   stellt   Musik,   Gesang   und   Ästhetik   in   den   Fokus, riskiert   aber,   die   erzählerische   Spannung   zu   vernachlässigen.   Da,   wo   die   Musik das   Stück   schiebt   wie   einen   Handkarren,   bleibt   das   Drama   in   der   eigenen   tiefen Emotion   stecken   und   die   erzählerische   Klarheit   versandet.   Die   narrative   Dynamik bleibt    so    hinter    der    Form    zurück.    Dies    ist    jedoch    eine    Eigenart    und    nicht automatisch ein Makel. Die   Entwicklung   –   Liebe,   Trennung,   politischer   Aktivismus   –   wirkt   stellenweise fast   abstrakt.   Dies   kam   nicht   beim   gesamten   Publikum   gut   an   und   auch   nicht   bei jedem   Berufskritiker.   So   soll   das   Stück   bei   der   Premiere   (wir   waren   bei   der Premiere   nicht   zugegen   und   waschen   unsere   Hände   in   Unschuld)   einige   Buhrufe geerntet    haben.    Uns    jedenfalls    hat    eben    diese    Widersprüchlichkeit    in    der sperrigen   Inszenierung   sehr   gut   gefallen;   wenn   wir   auch   anerkennen,   dass   I   Did It   My   Way   nicht   an   die   Auftaktinszenierung   des   Vorjahres   heranreicht.   Freunde des   reduzierten,   musikalischen   Performances-Theaters   können   in   „I   Did   It   My Way“ jedoch viel großartiges entdecken. Dennoch   gibt   es   neben   den   bereits   beschriebenen   „umstrittenen“   Besonderheiten beim   Inszenierungsgerüst   klare   und   eindeutige   Schwachpunkte,   die   sich   jenseits von   individuellen   Geschmacksfragen   wiederfinden.   Wenn   Lars   Eidinger   als   in Nostalgie   und   kleinbürgerlicher   Lethargie   Gefangener   nicht   nur   schauspielert, sondern    zusätzlich    eine    Choreografie    zu    meistern    hat    und    darüber    hinaus bekannte   Sinatra   Songs   singen   soll,   stößt   er   trotz   allen   Talents   manches   Mal   an Grenzen   und   diese   liegen   vornehmlich   im   Gesang.   Auch   ein   vielseitig   Versierter ist nicht automatisch ein Tausendsassa. Siegerin   nach   Punkten   an   diesem   Abend   ist   eindeutig   Larissa   Sirah   Herden   aus Gelsenkirchen.   Sie   interpretiert   Songs   der   Jazz-Ikone   Nina   Simone   voller   Brillanz und   Kraft,   tanzt   und   schauspielert   überzeugend   und   trägt   weite   Teile   des   Stücks mit   ihrer   Präsenz   und   ihrem   Können.   Larissa   Sirah   Herden   verkörpert   Lary,   die schwarze   Frau,   die   ihren   weißen   Mann   verlässt,   sich   der   Bürgerrechtsbewegung zuwendet   und   gesellschaftlichen   Widerständen   begegnet.   Dass   schwarz,   aktiv, weiblich    und    progressiv-zukunftsfähig    hier    weiß,    träge,    männlich    und    ewig- gestrig   gegenübergestellt   wird,   ist   auf   der   Bühne   erlaubt   und   wirkmächtig,   auch wenn   der   heilige   Zeitgeist   seine   Finger   im   Spiel   gehabt   haben   könnte;   mutig jedenfalls ist diese Darstellung nicht. Unter   dem   Strich   bleibt:   Die   sehr   spezielle   Inszenierung   hat   uns   durchaus   gut gefallen,   gerade   auch   in   dem   Auseinanderdriften   von   Musik   auf   der   einen   und Erzähltempo   und   Eindeutigkeit   auf   der   anderen   Seite.   Eidinger   ist   ein   großer Schauspieler   mit   unglaublicher   Präsenz   und   der   Fähigkeit,   Empathie   zu   wecken, ohne   ins   Pathos   zu   verfallen,   er   spielt   mit   nuancierter   Verletzbarkeit   und   innerer Zerrissenheit,   ihm   entgleitet   glaubwürdig   seine   Welt.   Sein   Tanz   und   Gesang   sind jedoch   bei   weitem   nicht   auf   seinem   schauspielerischen   Niveau.   Larissa   Sirah Herden   ist   eine   Wucht;   ihrer   Karriere   dürfte   I   Did   It   My   Way   einen   ordentlichen Schub verpassen.
© Jan Versweyveld
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